Die Gesichter der Toten by Constanze Niess

Die Gesichter der Toten by Constanze Niess

Autor:Constanze Niess
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2014-01-12T16:00:00+00:00


Die träge Hirnmasse bewegt sich mit und schlägt dabei, weil der Richtungswechsel plötzlich kommt, an die Schädelinnenwände an. Durch das wiederholte Hin und Her und die Trägheit des Gehirnes überdehnen und zerreißen schließlich die zwischen Gehirn und Knochen gespannten Brückenvenen und die Nervenbahnen, der Hirnstamm wird gequetscht. Es blutet in die Schädelhöhle und das Hirngewebe schwillt an. Die Kinder fallen in einen komatösen Zustand. In den folgenden Wochen und Monaten wird die geschädigte Hirnsubstanz, der Zellschutt, abgetragen, das Gehirn ist geschrumpft und der freiwerdende Platz im Kopf füllt sich mit Liquor, Hirnflüssigkeit. Bei radiologischen Nachuntersuchungen sind diese flüssigen Bereiche auf den Schwarz-Weiß-Bildern dunkel wie schwarze Löcher. Schwerst behinderte Kinder haben nur noch kleine Reste an Hirnmasse und große Flüssigkeitshöhlen. Auf dem Röntgenbild sieht man dort, wo einmal das Gehirn war, nur noch Flüssigkeit. »Big Black Brain«, wie es die amerikanischen Kollegen nennen. Der schreckliche Endzustand eines gerade erst begonnenen Lebens. Das Tückische ist, dass die schwere Schädigung im Kopf des Kindes äußerlich nicht zu sehen ist. Nur manchmal bemerke ich blaue Flecken am winzigen Brustkorb, Fingerabdrücke von der Hand eines Erwachsenen, der das Kind so fest packt, dass er ihm dabei die Rippen bricht. Viele Kinder, die ich im Krankenhaus begutachte und die nur knapp dem Tod entronnen sind, wurden nicht zum ersten Mal geschüttelt.

Sofort nach der Geburt fängt das Hirn an, Informationen zu speichern. Das Kind erfasst mit Augen, Nase, Ohren, Mund und Haut seine Umgebung und gibt die Eindrücke ans Gehirn weiter. »Trampelpfade« entstehen, vielfach begangene Wege, die zur Hirnrinde führen, wo alle Erfahrungen und Eindrücke abgelegt und Verknüpfungen aufgebaut werden. Einmal Gelerntes kann über diese Trampelpfade schneller erreicht werden, die Erinnerung kommt immer rascher wieder. Wird das Kind jedoch geschüttelt, werden diese Verknüpfungen zerstört und müssen erst wieder erzeugt werden, bereits Gelerntes ist verloren. Das Neugeborene prägt sich zum Beispiel das Gesicht der Mutter, des Vaters, des Geschwisterkindes oder der Oma ein. Beim Schütteln werden diese Verknüpfungswege zerstört. Erinnerungen und Verhaltensmuster müssen neu erlernt werden und auch die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Auf meine Einschätzung des Tatgeschehens hin wird Ralf Gruber abgeführt und in Untersuchungshaft gebracht. Unterdessen kümmert sich seine Frau liebevoll um die Zwillinge. Anfangs werden ihre Besuche in der Klinik videoüberwacht, da weder sie noch ihr Mann gestanden haben. Auch wenn die Polizei vermutet, dass es eher der Vater war, der die beiden Mädchen geschüttelt hat, gibt es immer wieder das Phänomen des sogenannten Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms.

Elternteile, meist Mütter, schädigen ihre Kinder auch noch in der Klinik, um weiterhin medizinische Behandlung und Aufmerksamkeit zu bekommen. Beispielsweise kommt es vor, dass eine Frau ihrem Kind, während es an einen Überwachungsmonitor angeschlossen ist, ein Kissen aufs Gesicht legt, damit die Sauerstoffsättigung sinkt. Bis die Krankenschwester auf den Alarm reagiert und zur Tür reinkommt, hat die Mutter das Kissen entfernt und das Personal wundert sich, wieso es dem Kind trotz Untersuchung und Behandlung wieder schlechter geht. Liegt vielleicht eine noch unentdeckte Erkrankung vor, die man sich nicht erklären kann? Erst nachdem man in dem Zimmer heimlich eine Kamera



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